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Deutschland: Großveranstaltung zum großen Bergarbeiterstreik 1997

Die Veranstaltung wurde von einem breiten Bündnis unter dem Dach von Kumpel für AUF, der überparteilichen Bergarbeiterbewegung, durchgeführt. Auch die ICG war Mitveranstalter dieser einmaligen Veranstaltung über den größten Bergarbeiterstreik der Nachkriegsgeschichte in Deutschland.

Wir dokumentieren hier die Berichterstattung der MLPD, ebenfalls Mitveranstalter auf rf-news.de.

Es gab ein interessantes Vorprogramm. Um 19 Uhr begann die facettenreiche und kulturvolle Revue zum Bergarbeiterstreik. Nahezu 600 Gäste waren gekommen Bergleute sprechen selber.

Während beim offiziellen Abgesang auf den Bergbau die Bergleute oft nicht einmal eingeladen wurden, war diese Revue von ihnen selbst vorbereitet. Vier Monate sprachen die Initiatorinnen und Initiatoren der Veranstaltung mit Bergleuten über ihre Erfahrungen, sammelten Dokumente und Bergmannsutensilien. Über 50 Zeitzeugen berichteten mit Stolz über den Streik von 1997 und seine Vorgeschichte bis in die Ursprünge der Bergarbeiterbewegung. Der Ruhrchor sang Lieder aus dem Kampf der Bergarbeiter.

Stefan Engel, seit 1992 öffentlicher Sprecher der Zeitung von Kollegen für Kollegen Vortrieb, langjähriger Vorsitzender der MLPD, sprach mit fünf Jugendlichen und zahlreichen Zeitzeugen über diesen wichtigen Arbeitskampf in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - so der Rahmen der mit Filmeinspielungen, Bildern, Theaterszenen und Lieder präsentierten Revue.

Die Jugend fragte: „Warum haben wir davon in der Schule nie etwas erfahren?“ Stefan Engel fasste zusammen: „Die Bergleute waren in der Geschichte immer die Avantgarde der Arbeiterbewegung.“ Darüber will der bürgerliche Schulbetrieb natürlich nicht berichten.

Jeder Streik hat eine Vorgeschichte

Zeitzeugen berichteten: 1993 streiken die Kumpel des Kali-Salzbergwerks im thüringischen Bischofferode und setzten ein Signal des Übergangs zur Arbeiteroffensive. Am 2. Juni 1996 kam es auf Zeche Hugo durch den viertägigen Brand eines Förderbands zum größten Dioxin-Skandal in der Geschichte Gelsenkirchens. Im Kampf gegen diese lebensgefährliche Vergiftung der Kumpel wuchs über einem langen Zeitraum Vertrauen. Ohne ein solches Vertrauen ist ein solcher Streik nicht zu führen.

Wegen Verlegeterror und geplanten Massenentlassungen von 69.000 Bergleuten gärte es unter den Kumpeln. Die MLPD-Betriebsaufbaugruppe bei Hugo machte in dieser Situation den Vorschlag an den Vortrieb zu streiken. Stefan Engel wurde beauftragt einen Entwurf für den Streikaufruf zu machen. Es war eine Situation in der die reformistische Taktik der IGBE-Führung offen gescheitert war. Solche Situationen sind besonders günstig für die Arbeiterklasse, selbständig die Initiative zu ergreifen.

Der Streik

Die Vortrieb-Redaktion griff den Streik-Vorschlag auf. Am 3. März, um 5 Uhr, bekamen die Kumpel am Tor eine Extra-Ausgabe des Vortrieb mit dem Titel: „Proteststreik! Die Stilllegungspläne müssen von der Tagesordnung!“ Freitag, 7. März: Das Frühstücksfernsehen des WDR ging um 5 Uhr vor die Zeche Hugo, um die Meinung der Kumpel zu erfragen. Für sie völlig überraschend packten Kumpel vor laufender Kamera Betriebsratschef Hans-Jürgen Pfeiffer am Kragen – der war nicht größer als ca. 1,50 Meter - setzten ihn nach hinten und erklärten: „Wir fahren alle aus!“ „Wie jetzt: alle?“ „Ja: alle!“ Vom 6. bis 13. März streikten zeitweise alle 130.000 Bergleute an Ruhr und Saar. Sie fuhren nach Bonn und forderten: „Der Dicke muss weg!“ (Gemeint war der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl) Die IGBE-Führung unter ihrem Vorsitzenden Hans Berger unternahm alles um den Streik abzuwürgen.

Dazu erzählte ein langjähriger Bergmann der Zeche Ewald: "Wir sollten die Füße stillhalten und abwarten, was die Gewerkschaft macht. Dem haben wir eine klare Abfuhr erteilt. Dann wurden wir vom Betriebsrat zur Kreuzung Ewaldstraße geschickt, wo wir unsere Präsenz zeigen sollten. Das einzige, was wir machen sollten, ab und zu mal den Knopf der Ampel betätigen. Selbst dem anwesenden Motorradpolizisten war das auf Dauer stinklangweilig und wir Bergleute hatten eh einen dicken Hals. Also beschlossen wir - ca. 250 Bergleute - zur A2 zu gehen und die Autobahn in beiden Richtungen zu sperren. (…) Inzwischen hatte die Polizei unseren Betriebsratschef abgeholt und zur Autobahn gebracht. Dort jammerte er herum, dass jetzt wohl seine Karriere kaputt wäre und man ihn bitte nicht einsperren sollte. Die Bergleute hätten das ohne sein Wissen gemacht. Was für ein Armutszeugnis! Für uns war es ein voller Erfolg! Dann kamen noch die Hugo-Kumpels über die A2 zu uns. Was für eine Solidarität!! Was für ein Tag!!!"

Auf die Frage eines Jugendlichen, ob er den keine Angst gehabt hätte antwortete der Kumpel: "Natürlich macht man sich seine Gedanken und ist es nicht gerade schön, wenn man einen auf die Mütze kriegt. Aber es ist in so einer Situation eine Frage des Klassenstandpunkts als Arbeiter, ob man kämpft und das auch höher stellt als persönliche Ängste oder Interessen. Als Arbeiter kann man sich doch in so einer Situation nicht einschüchtern lassen! Wir haben diese Entscheidung bewusst getroffen – und fertig! Wir Kumpel konnten uns unter Tage immer aufeinander verlassen und das wussten wir auch in dieser Situation: Wir werden nicht alleine sein! Es war uns auch klar, dass wir diesen Kampf nicht erfolgreich führen können, wenn wir ihn nicht mit allen gebotenen Mitteln führen. Es geht also um die Sache, und ob man die Interessen aller Arbeiter und ihrer Familien über die persönlichen Gefühle und Ängste stellt."

Maja war mit neun Jahren die jüngste Akteurin der Revue, und kommentierte: "Ich bin Rotfuchs! Ein Bergmann hat uns erzählt, dass sie unter der Erde sehr gut zusammenhalten müssen. Wir Rotfüchse über der Erde halten auch gut zusammen."

Der Vortrieb

Der Vortrieb, die Zeitung von Kumpeln für Kumpel - und die kämpferische und klassenkämpferische Bewegung, spielte eine besondere Rolle. Sie musste alles dafür tun, die Klassenselbständigkeit gegen die Klassenzusammenarbeitspolitik zu stärken. Der Vortrieb nahm diese Herausforderung an! Eine Zeitzeugin berichtete: „Dafür wurde der Vortrieb von RAG und IGBE-Spitze gehasst. Sie hetzten die Kumpel auf: ‚Die kommen nicht vom Pütt‘, ‚Die gefährden eure Arbeitsplätze‘. Die Kumpel verteidigten den Vortrieb. Er wurde zu DER anerkannten Streikzeitung. Es entstehen über 35 Redaktionen auf zwölf Schachtanlagen.“

Der Streik hat Signalwirkung

Der Streik der Bergarbeiter hatte Signalwirkung. Es folgten Streiks der Stahlarbeiter. „Aber geht es den Bergarbeitern nach ihrem Streik nicht schlechter als vorher?“, fragten die Jugendlichen. Als Ergebnis des Streiks wird die Organisiertheit erheblich gestärkt. Der Vortrieb wurde zur Zeitung der Bergarbeiter auf allen Zechen. Kumpel für AUF, als die überparteiliche und bundesweite Massenbewegung für den Bergbau, wurde gegründet. Die internationale Bergarbeiterkoordinierung entsteht. Die Geburtstagskasse des Vortrieb wird gegründet.

Stefan Engel: „Der Geist der Bergarbeiterbewegung ist in die deutsche Arbeiterbewegung eingegangen. Ohne die verarbeiteten Streikerfahrungen der Kumpel von 1997 wären der selbständige Kampf der Opelaner von 2004 und die Verteidigung ihres Werkes über zehn Jahre nicht denkbar. Hier wurden Standards für die Auslösung, Führung und Höherentwicklung von Arbeiterkämpfen geschaffen und weiterentwickelt. Das ist ein Auftrag an die deutsche und internationale Bergarbeiterbewegung.“
Internationale Bergarbeiterbewegung

Internationale Gäste aus der Ukraine, Spanien und von den Philippinen bestätigten das. Die Jugendlichen auf dem Podium betonten, dass das eine Schulstunde nach ihrem Geschmack war. Sie haben für ihre Zukunft gelernt. Musiker der weltweit bekannten Grup Yorum brachten die Grüße der türkischen Bergarbeiter mit ihrem Lied „Madenciden“ („Vom Bergarbeiter“). Das Lied handelt über den großen Bergarbeiterstreik in Zonguldak/Türkei im Jahr 1991. Die Revue wurde – wie sollte es anders sein – mit dem Lied der internationalen Bergarbeiterbewegung: Santa Barbara beendet. Zum Abschluss der Veranstaltung wurde natürlich noch das Tanzbein geschwungen.

Noch am Abend äußerten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenüber der Roten Fahne:

„Ich bin selber ein Kumpelkind und habe mich damals mit den Kumpeln am Streik beteiligt. Da war ich 46 Jahre alt. Die Kumpel haben sich gefreut. Interessant: damals waren die Kumpel am Ende enttäuscht. Heute sind sie stolz! Ich bin wirklich überrascht, wie gut die Veranstaltung trotz der Sperrung des Horster-Mitte-Saals organisiert ist. Aber mit dem Wetter haben wir Glück gehabt - ist wie für uns gemacht.“ (Eli, 67 aus Gelsenkirchen)

„Die wichtigste Lehre, die ich von 1997 mitnehme: Nicht auf die Tricks und Methoden hereinfallen, von wegen keine betriebsbedingten Kündigungen. Wir müssen einen Kampf um jeden Arbeitsplatz führen.“ (Ein Azubi bei Opel)

„Bisher gefällt mir die Veranstaltung sehr gut. Im Ruhrgebiet ist es Tradition, dass die Stahl- und Bergarbeiter zusammenhalten. Deswegen sind wir hier.“ (Stahlarbeiter aus Duisburg)

Die Veranstaltung kann man mit einem Wort treffend beschreiben: authentisch

Besucherin aus Recklinghausen

„Die Veranstaltung kann man mit einem Wort treffend beschreiben: authentisch! Die ganze Veranstaltung ist nicht über Bergarbeiter, sondern von ihnen selber gemacht. In der Vorbereitung sind viele neue Verbindungen geschlossen worden. Das ist sehr wertvoll.“ (Arbeiterin aus Recklinghausen)

„Mir gefällt es hier. Ich stehe gerne auf der Bühne. Aber es war eine Herausforderung für mich. Drei Stunden lang mit nur einer Pause auf der Bühne zu sein. Und immer genau zuhören, um den Einsatz nicht zu verpassen. Jetzt freue ich mich, dass es gleich losgeht.“ (Maja, mit neun Jahren die jüngste auf der Revue-Bühne)

„Es ist eine sehr schöne Veranstaltung, mit den Jugendlichen auf der Bühne, mit Stefan Engel und den vielen Zeitzeugen. So erfährt man das aus den bürgerlichen Medien überhaupt nicht. Es ist sehr gut gelungen, die Fragen von damals auf heute zu beziehen. Wie kann man einen solchen Kampf organisieren? Das ist eine Frage, die heute auch sehr viele Kolleginnen und Kollegen haben.“ (Automobilarbeiterin aus Nürnberg)

„Die Veranstaltung ist total mobilisierend. Es war sehr spannend, wie das damals 1997 konkret aufgezogen wurde. Das Flugblatt, mit dem letztendlich der Streik ausgelöst wurde, war sehr beeindruckend. Die klare, kurze, einfache und mobilisierende Sprache.“ (Weibliches Mitglied des Jugendverbands REBELL aus Baden-Württemberg)

Die Behinderung durch die Stadt mit der Nutzungsuntersagung des Kultursaals wurde mit einer beeindruckenden Gemeinschaftsleistung überwunden. Die aufgebauten Zelte und die Bühne waren liebevoll im Bergmannsflair geschmückt. Dieser Geist, sich unter keinen Umständen unterkriegen zu lassen, prägte den Streik 1997, aber auch die Vorbereitung dieses Abends.