Brasilien: Brumadinho und die Folgen

Am 25. Januar 2019 brach der Damm einer Eisenerzmine des Bergbaukonzerns Vale in der Nähe der brasilianischen Stadt Brumadinho und mehr als 270 Menschen kamen ums Leben. Bis heute leidet die Bevölkerung unter den Folgen. Noch immer ist der Boden verseucht hier in Córrego do Feijao, etwa 30 Autominuten von der schmucklosen Kleinstadt Brumadinho entfernt. Die Menschen befürchten, dass dies nicht der letzte Dammbruch war.

11,7 Millionen Kubikmeter Schlamm und toxische Schwermetallrückstände stürzten über Verwaltungsgebäude und die gut besuchte Cafeteria hinab ins Tal. Die Ereignisse verfolgen die Menschen noch immer im Traum. Schier unendlich wirkt die Liste der Kollegen und Freunde, die ihr Leben verloren. Erst kurz vor Weihnachten wurden jetzt die Überreste von Cristiane gefunden und anhand einer DNA-Analyse identifiziert. Noch immer wird nach den Überresten einiger der Opfer gesucht, die die Schlammlawine unter sich begrub. Angestellte von Vale bekommen jedoch weder Schutzkleidung noch psychologische Betreuung. „Ich wache auf und denke ich sei im Dammbruch und es gibt Tage, da schaffe ich es nicht, die Kinder zur Schule zu bringen.“ berichten Menschen, die das Unglück erlebt haben. Flavia, eine groß gewachsene Mittdreißigerin, hat an jenem 25. Januar ihren Vater und viele Freunde verloren und ist bis heute traumatisiert. Erste Erhebungen von Ärzten und sozialen Diensten haben ergeben: Circa ein Fünftel der Bevölkerung in der Gegend um die 40.000 Einwohnerstadt Brumadinho leidet an Depressionen, doppelt so viele wie im Landesdurchschnitt. Ungewöhnlich hoch ist auch die Selbstmordrate in der Region: „Zuletzt gab es vier Selbstmorde und zwei Selbstmordversuche binnen 60 Tagen hier in der Gemeinde. Die Menschen führen das auf das Verbrechen des Dammbruchs zurück. Es gibt mehr psychische Erkrankungen und die Leute nehmen sich das Leben, weil Ihnen niemand hilft“. Valeria berichtet: „Ich betreibe noch Landwirtschaft, kann aber die Produkte nicht mehr verkaufen. Die Menschen haben Angst, sie seien verseucht. Mein Mann leidet an Depression, meine Töchter sind krank vor Angst und ich auch. Sie wissen, dass ihre Mutter bedroht wird, und bitten mich, dass ich nicht weiter jeden Tag rede.“ Vor allem nach den Überschwemmungen vor einem Jahr sind die Böden auf einer erweiterten Fläche mit Schwermetallen verseucht worden. Am 8. Januar 2022 stieg der Pegel des Paraopeba-Flusses binnen 48 Stunden auf 9,50 Meter an. Der toxische Schlamm, der sich nach dem Dammbruch auf dem Grund des Flusses abgelagert hatte, wurde großflächig verteilt und hat die Böden auf einer enormen Fläche verseucht. Selbst in 300 Kilometer Entfernung macht sich jetzt die Verunreinigung von Wasser und Böden bemerkbar. Seit den Überschwemmungen häufen sich Durchfallerkrankungen, Fieber, Allergien und Hautausschläge bei den Anwohnern. Nur 22 Gemeinden, weniger als die Hälfte der betroffenen, werden von Vale mit Trinkwasser beliefert: In anderen bleibt den Bewohner keine andere Wahl als möglicherweise verseuchtes Wasser zu trinken oder teures Mineralwasser zu kaufen. Im Wasser und in dem Schlamm wurden Eisen, Mangan und Aluminium in bis zu sechsfach erhöhten Konzentrationen gefunden. Dieses Wasser kann nicht mehr für die Bewässerung genutzt werden. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass diese Stoffe schon im Blut gefunden wurden. Sie können die Nerven angreifen, das Immunsystem und die Leber. Der für die Risikobewertung im Rathaus von Brumadinho zuständige Cristiano Silva berichtet, dass zwar einige Arbeitskräfte zur medizinischen und sozialen Betreuung zusätzlich eingestellt wurden. Jedoch angesichts der Dimension des Problems fühlt man sich hier in der Gemeinde wie in der gesamten betroffenen Gegend jedoch weitgehend alleingelassen. Es existiert noch nicht einmal eine umfassende Schadensanalyse. Flavia lebt in der Region und sagt: „Vale ist ein mörderisches Unternehmen, das den Fluss zerstört und Tier und Mensch umbringt.“ Denn Profit wird über Menschenleben gestellt, sagt Inhana Olga, Koordinatorin bei Renser, Regiao Episcopal Nossa Senhora do Rosario, einer katholischen Hilfsorganisation. Renser kümmert sich um viele der Opfer, leistet die Arbeit, die eigentlich der Bergbaukonzern Vale oder staatliche Stellen erbringen müssten. Vale hat im Zuge der Ermittlungen den Vorwurf eines willkürlichen Verbrechens natürlich von sich gewiesen. „Jede Familie hat ein Recht darauf, die Überreste ihrer Angehörigen zu bekommen, damit sie ordentlich beerdigt werden können. Keines der Opfer verdient es, im Schlamm begraben zu bleiben. Wir halten auch die Erinnerung aufrecht, damit die Opfer nicht vergessen und sie geehrt werden. Schließlich haben 272 Menschen ihr Leben verloren. Wir kämpfen aber auch, damit sich so etwas nicht wiederholt!“, sag Alexandra Andrade Goncalves Costa, die Präsidentin der Organisation. Die Menschen sind enttäuscht und verängstigt, zumal auch jetzt immer wieder neue Lizenzen für den Bergbau in der Gegend erteilt werden. Mitschuld trägt auch der TÜV Süd aus Deutschland. 2017, zwei Jahre vor der Katastrophe, hatte Vale, der Betreiber der Eisenerzmine von Córrego do Feijao eine Risikoanalyse durchgeführt. „Die Studie war sehr gut gemacht: Die Katastrophe ist genauso abgelaufen wie analysiert. Die Schlammlawine ist über die Verwaltung und die Kantine gerollt, wo die Beschäftigten beim Mittagessen waren. Vale, der Betreiber, kannte das Risiko und hat darauf gewettet, dass der Damm hält. Für dieses Verbrechen muss auch der TÜV Süd aus Deutschland vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Dessen Experten sollen wider besseres Wissen den Damm des Rückhaltebeckens als sicher eingestuft haben – angeblich, um vom Vale Konzern andere Beratungsaufträge zu erhalten. Das legen Untersuchungen von Staatsanwaltschaft und parlamentarischen Ausschüssen nahe. Es gibt stichhaltige Beweise: einen Mailverkehr zwischen dem TÜV Süd und Vale. Daraus geht hervor, dass der TÜV über den schlechten Zustand im Bild war, den Damm aber dennoch als stabil einstufte. Nun müssen sich die deutschen Prüfer in insgesamt 35 verschiedenen Prozessen vor dem Landgericht München verantworten. Im größten Prozess klagen mehr als 1000 Opfer und Hinterbliebene? Sie fordern 440 Millionen Euro Schadensersatz. In Brasilien laufen ebenfalls Prozesse gegen den TÜV und vor allem den Bergbaukonzern Vale. „Der Bundesstaat Minas Gerais und Vale haben sich auf eine Schadensersatzsumme von knapp acht Milliarden Euro geeinigt. Die Gemeinde Brumadinho wollte bei den Verhandlungen dabei sein, wurde aber vom Gericht ausgeschlossen und bekommt jetzt 300 Millionen Euro von der Gesamtsumme“, sagt Decio Junior, Pressesprecher der Gemeinde Brumadinho. In hübschen Videos preist der Bergbaukonzern Vale seine vom Umfang eher bescheidenen Reparationsprojekte. Zu einer Stellungnahme war er nicht bereit. Der Konzern, der im Jahr 2021 satte 25 Milliarden Euro Gewinn erzielt hat, zahlt darüber hinaus auch vielen Betroffenen noch immer monatlich 1000 Reais, circa 200 Euro, fast einen Mindestlohn, allerdings nach undurchsichtigen Kriterien, sagen Kritiker. Die Region lebt vom Bergbau, Vale und andere Konzerne bilden die wirtschaftliche Lebensader von Minas Gerais. Die größte Sorge ist, dass sich eine solche Katastrophe jederzeit wiederholen könnte. Nach den Unglücken von Mariana und Brumadinho gab es Überprüfungen: 39 Rückhaltebecken des Typs von Brumadinho gelten in Brasilien nach Aussage von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten als riskant, drei davon als extrem gefährdet und hätten längst abgewickelt werden müssen. „Die Gesetze wurden zwar verschärft, geben den Menschen mehr Rechte und schützen die Umwelt besser, aber sie werden nicht eingehalten.“ Im Zweifel, so Menschenrechtsanwalt Danilo Chammas, zahlen die Bergbaukonzerne lieber eine Strafe als marode Dämme stillzulegen oder nachzurüsten.