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Länderbericht Russland
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Das Bild zeigt die Lagerstellen und Abbaugebiete von Stein- und Braunkohle in Russland. Russland ist der sechstgrößte Steinkohleproduzent der Welt mit 147 Mrd. t Vorräten von wirtschaftlich gewinnbarer Steinkohle . Es hat acht wesentliche Steinkohleförderregionen mit folgenden Anteil an der Gesamtförderung: Donbass an der Grenze zur Ukraine ca 4%, Moskau-Tula < 1%; Petschora/Workuta im Norden am Polarkreis mit tiefen Untertagegruben 8%; Ural und andere 3%; Kuzbass in Westsibierien als Haupt Förderregion 44% (in 1999), wo im Untertage- und Tagebau Koks- und Kraftwerkskohle, aber auch Braunkohle gefördert wird, es hat mit 65% auch die größten Steinkohlereserven; Kansk-Artschinsk mehrere hundert Kilometer östlich von Kuzbass 15%, Ostsibierien 14% und Süd-Jakutien in Fern-Ost 12%.
Die hauptsächliche Abbaumethode war bereits 1980 der Strebbau mit 85% bei einer Vollmechanisierung von 65%. Der Rest entfiel auf Blockbruchbau und hydromechanische Gewinnung.
Die Lage und Kämpfe der russischen Bergarbeiter: ...
Gegen Ende der 80er Jahre waren breite Teile der Massen durch bürokratische Misswirtschaft und Versorgungsengpässe, besonders an Fleisch und Milchprodukten, und durch den gigantischen Rüstungswettlauf in nacktes Elend gedrückt. Perestroika und Glasnost von Gorbatschow bescherte den Bergarbeitern zusätzlich sinkenden Lohn und steigende Preise bei wachsender Arbeitsintensität d.h. Kohle fördern um jeden Preis.. Mit ihrem selbständigen Streik vom 10. Juli 1989 im Kuzbass begannen die Bergarbeiter den Kampf um ihre Lebenslage. Innerhalb einer Woche weitete sich der Streik auf das ganze Kusnezker Kohlerevier aus. In neun Städten streikten mindestens 100000 Arbeiter. Dabei schlossen sich auch zahlreiche Belegschaften anderer Betriebe an. Zehntausende Bergleute und die sich solidarisierende Bevölkerung harrten Tag und Nacht auf den zentralen Plätzen aus und forderten ein Gespräch mit Gorbatschow oder dem Regierungschef Ryschkow.
Bilder: Kumpel tragen ihre Fordrungen vor und Streikversammlung in Prokopjewsk
Streikkomitees wurden gebildet und ein Forderungskatalog von 41 Forderungen aufgestellt, Dieser beinhaltete unter anderem:
- Verbesserung der Lebensverhältnisse
- Höhere Löhne
- Zuteilung von 800 Gramm Seife und ein Handtuch pro Monat
- Abschaffung der Funktionärsprivilegien
- Neuwahl der Stadtbehörden
- Lösung der ökologischen Probleme in der Region
- Bessere Bezahlung von Ärzten und Krankenschwestern
- Wirtschaftliche Selbständigkeit der Zechen und Betriebe bei Mitbestimmung der Arbeiter über die Produktionsziele und Verwendung der Gewinne
- Erarbeitung und Verabschiedung einer neuen sowjetischen Verfassung
Nach einer Woche kündigte der Kohleminister Schtschadow an, dass den streikenden keine Löhne mehr ausgezahlt würden. Das war ein offener Erpressungsversuch. Auch Gorbatschow rief zur Beendigung des Streiks auf. Statt dessen weitete sich der Streik jedoch auch auf das Donez-Becken und auf Workuta, Karaganda und weitere Kohleabbaugebiete aus.
Das leitete das Ende von Perestroika und Glasnost und damit des bürokratischen Kapitalismus der früheren Sowjetunion ein.
Mit dem Zusammenbruch des bürokratischen Kapitalismus der Sowjetunion wurde seine allgemeine wirtschaftliche Rückständigkeit offenkundig. Es begann ein allgemeiner tiefer wirtschaftlicher Niedergang verbunden mit einer tiefen Zerrüttung der Staatsfinanzen. Auf dem Weltmarkt spielt Russland heute nur noch die Rolle eines Rohstofflieferanten von Gas, Erdöl, Metalle, Kohle usw. daran wird sich in absehbarer Zeit nicht viel ändern, da wenig Investitionen nach Russland fließen, 1999 gerade mal 0,3 Prozent der weltweit getätigten Direktinvestitionen.
Die breiten Massen und die Bergleute bekamen diesen Niedergang voll zu spüren. Die Steinkohleförderung sank vom Höchststand 1988 mit gut 273 Mio t auf den Tiefststand von gut 140 Mio t 1998. Das waren 20 Mio t weniger als 1960. 180 Zechen wurden geschlossen v.a. im Donbass und subarktischen Petschora/Workuta-Revier und von den ehemals 900000 Bergleuten blieben bis 2002 rund 200000 übrig. In 2001 gab es noch 55 Tagebau- und 115 Tiefbau-Gruben.
Da erst mal alle Gruben staatlich waren, führte die Zahlungsunfähigkeit des Staates bzw. die Erscheinung, dass Abnehmer die Kohle nicht bezahlten, dazu, dass die staatlich Beschäftigten, also auch die Kumpel, mehrfach über mehrere Monate keinen Lohn bekamen und viele Familien in Elend gerieten.
Zur Auszahlung der Lohnrückstände entwickelten sich ab 93 heftige Proteste, Hungerstreiks und gewerkschaftliche Streiks gegen die Regierung, die die kämpfenden oft mit leeren Versprechungen hinzuhalten versuchte. Die Kohlebergarbeiter bildeten dabei die Hauptkraft. Ab 1994 ging die Regierung zur Schließung unrentabler Gruben und ab 96 zu schrittweise Privatisierung der rentablen Gruben über. Die Weltbank finanzierte dies mit einem 1,1 Mrd US$ Kredit von 1996 bis 1999. Bis 98 entstand eine richtige Streikwelle. Bis dahin haben die Kumpel mit vielen lokalen und über 20 großen gewerkschaftlichen Streiks über mehrere Reviere bzw. in allen Kohlerevieren landesweit mit zehn Tausenden bzw. hundert Tausenden Beteiligten ihre Kampfkraft entwickelt. Dreizehn der großen überregionalen Streiks gingen von 1 bis mehrere Tage, sieben davon zwischen 1 und 3 Wochen. Einzelne Streikaktionen waren selbständig und die Arbeiter forderten andere Branchen auf, sich anzuschließen. Im Mittelpunkt der Kämpfe stand vor allem die Bezahlung der Lohnrückstände, aber auch Forderungen für die Rücknahme der Privatisierung oder zur Abfederung bei Zechenschließungen wurden aufgenommen. In einigen Streiks und Protesten wurde auch der Rücktritt des Präsidenten gefordert.
Besondere Kraft entwickelten die Streiks, wenn sie mit Unterstützung von Metallern, Kraftwerksarbeitern usw. und der Bevölkerung durchgeführt wurden und Kampfformen wie Brückensperrungen bzw. Bahnblockaden von wesentlichen Transportadern für den Personen-, Güter- und Kohletransport anwandten wie z.B. der Transsibirische Eisenbahn, als Haupttransportader zwischen Ost und West. Als ein Polizei-Spezialkommando auf Sachalin eine Gleisblockade zu einem Kohlekraftwerk im Juli 98 räumen wollte, stellten sich Frauen und Kinder vor die Bergleute. Mehrfach wurde durch die Streiks und Proteste eine Bezahlung von Lohnrückständen durch die Regierung erreicht.
Nach 98 waren keine Bergarbeiterstreiks mehr, obwohl die Lohnrückstände insgesamt, nicht nur der Bergleute, noch ca. 11 Mrd. US$ ausmachten. Das monatliche durchschnittliche Monatseinkommen der Bergarbeiter liegt heute bei ca. 200 €.
Die Jahresförderung stieg seit 98 wieder auf 163 Mio t in 2002.
Bilder: russische Bergarbeiter und Rentnerinnen verkaufen Kleider in St. Petersburg
Doch nicht nur mit dem Verlust der Arbeitsplätze und dem Elend wegen der oft nicht aus bezahlten Löhne haben die Bergleute zu kämpfen. Im Oktober 2003 gruben Helfer mit den Händen einen 56 Meter langen Rettungsschacht auch gegen den zwischenzeitlichen Befehl aufzuhören, und retteten noch 11 Kumpel vor den Wassermassen eines unterirdischen Sees. Der 2. Vorsitzende des allrussischen Bergarbeiter-Streikkomitees meinte dazu: “Sapadnaja ist eine besonders kohlereiche Grube und die Kohle dort ist sehr gut. Die Abbaubedingungen sind schwierig. Die Kapitalisten haben sich kein bisschen um ernsthafte Sicherheitsmaßnahmen bemüht. Es ist wie Karl Marx sagte, wo der Profit wirkt, scheut der Kapitalist vor keinem Verbrechen zurück”. Sapadnaja ist keine Ausnahme. Hunderttausende Bergarbeiter arbeiten unter gefährlichsten Bedingungen in Minen mit veralteter Ausrüstung ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen. Allein seit 2001 starben 219 Bergleute durch Untertageunglücke. Das letzte Unglück mit 47 Toten war erst am 11.4.2004 im Bergwerk Taischina im Kusbass.
Auf was müssen sich die Kumpel einstellen?
In 2001 wurden bereits 62% des heimischen Bedarfs und 80% der Exporte (34 Mio t in 2000 hauptsächlich nach Japan und in den Mittelmeerraum) durch Privatunternehmen gedeckt. Vor allem die Stahl- und Stromindustrie hat sich eingekauft und sichert sich damit ihre Rohstoffversorgung. In 2002 sollen noch etwa 15 Gesellschaften mit rund 50 Mio t Förderung in staatlicher Hand gewesen sein. Sie gelten weitgehend als unrentabel. Bis 2003 soll die Kohleförderbeihilfe vom Staat, in 2001 noch 69 Mio US$, ausgelaufen sein.
Über ihren führenden Einfluss in der EU-Kohlepolitik streckt die Deutsche Bergbautechnik (DBT) eine Tochter der RAG ihre Finger auch nach den russischen Gruben aus. Von der EU-Vertretung in Moskau erhielt sie den Auftrag, bis Mai 2001 ein Gutachten für einen “Masterplan” zur Restrukturierung des russischen Steinkohlebergbaus zu erstellen, was ihr die Möglichkeit eröffnete, auch dort führenden Einfluss zu erhalten. Mit einem jetzt geschlossenen Engeneering-Vertrag mit einem privatisierten Bergbauunternehmen in Nowakusnezk setzt die DBT ihre Pläne zu einer langfristigen Zusammenarbeit um.
Im Gleichklang dazu plant die Regierung, wegen der riesigen Bahn-Entfernungen der Förderregionen von 2000 bis 4500 km zu den Zentren der Bevölkerung und Industrie in Westrussland und den Exporthäfen im Norden und Fernost, nun hochprofitable Gruben mit einer guten Geologie und modernster Technologie im Kuzbass und Fernost, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu werden. Das heißt die Produktionskosten sollen soweit gedrückt werden, dass die hohen Bahnfrachten ausgeglichen werden. Das wird für die Bergarbeiter, Rationalisierung und weitere Zechenschließungen, Angriffe auf die Löhne und steigende Arbeitshetze und Flexibilisierung zur Erhöhung der Mann/Schichtleistung und weiterhin mangelnde Sicherheitsvorkehrungen bringen. Es ist damit zu rechen, dass das wichtigste Durchsetzungsargument die “Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt” sein wird.
Auch wenn die Zahl der Bergarbeiter heute nicht mehr so groß ist, sind sie der kampferfahrendste Teil der russischen Arbeiter.