Wer wir sind

Logo23

Sprache wählen

Suche

Afrika: Tausende von Kinder durch «giftigste Stadt Afrikas» bedroht

Auch nach 30 Jahren nach der Schließung einer Nickelmine sind die Böden der sambischen Kleinstadt Kabwe in Sambia vergiftet. Selbst die UNO Uno spricht von einer «ernsten Gesundheitskrise». Davies Chobela, Leiter einer Privatschule, zeigt auf den Innenhof seines Büros und sagt: «Es ist einfach, die Gefahr zu vergessen. Sie ist unsichtbar. Schauen Sie, es sieht aus wie überall sonst, dabei sind wir mitten in der Gefahrenzone.» Zur Mine sei es nicht weit, weniger als zwei Kilometer. «Der Boden hier ist fast überall vergiftet.»

Seit 1904 wurde hier unter britischer Kolonialherrschaft in der Mine damit begonnen, Blei, Zink und andere Schwermetalle zu fördern. Zeitweise galt die Mine als grösste ihrer Art überhaupt. Bis zu ihrer Schliessung im Jahr 1994 beherbergte das Minengelände auch eine Schmelzerei. Sie war das eigentliche Problem: Weil Umwelt- oder Gesundheitsschutz bei der sogenannten Verhüttung der Metalle lange kein Thema waren, pusteten die Schornsteine die giftigen Dämpfe jahrzehntelang ungefiltert über der Stadt aus. Die Folge: Die Böden der umliegenden Quartiere wurden immer toxischer – und sie bleiben es bis heute. Untersuchungen zeigen, dass die Bleikonzentration in der Erde Kabwes auch dreissig Jahre nach der Schliessung so hoch ist, dass sie die Gesundheit vieler Bewohner unmittelbar bedroht. Betroffen ist mindestens ein Drittel der Stadt, knapp 80 000 Menschen. Die dramatischsten Folgen hat das für die Jüngsten. Wer als Kleinkind unter einer chronischen Bleivergiftung leidet und nicht medizinisch behandelt wird, muss mit irreparablen kognitiven Beeinträchtigungen, Lernstörungen und Organschäden rechnen. In Kabwe besteht dieses Risiko für Abertausende: Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 haben in Quartieren in der Nähe der Mine 95 Prozent aller Kinder eine zu hohe Bleikonzentration im Blut. Etwa die Hälfte von ihnen ist dringend auf medizinische Betreuung angewiesen. Vor einigen Jahren hat der Davies Chobela die kontaminierte Erde auf dem Innenhof abtragen und ersetzen lassen. Alle paar Monate führt er Informationsveranstaltungen für die Eltern durch, um sie an die einfachsten Präventionsmassnahmen zu erinnern: Hände waschen, Schuhe ausziehen, Staub wischen. Im Unterricht ist der Umgang mit der Bleiverschmutzung fester Teil des Lehrplans. Die Aufklärungsarbeit sei wichtig, sagt der Schulleiter. Illusionen dürfe man sich aber nicht machen: «Ganz ehrlich, Kinder sind Kinder. Sie halten sich nicht immer an die Anweisungen der Erwachsenen.» Eine dauerhafte Lösung setzt eine ganze Palette von Massnahmen voraus. Dazu gehören Projekte zur Dekontaminierung: das Abtragen verseuchter Erde und die Ansiedlung spezieller Pflanzen, die Blei binden. Dazu gehören die Sicherung der Minenabfälle und die Minimierung der Staubbelastung durch geteerte Strassen und Wege. Und dazu gehört eine gute medizinische Überwachung und Behandlung der Betroffenen. Auf der Fahrt von Chobelas Schule zum alten Minengelände wird rasch klar, dass man solche Massnahmen in Kabwe vielerorts vergebens sucht. Zwar haben Entwicklungsorganisationen in den vergangenen Jahren in einigen Strassenzeilen und an Schulen die kontaminierten Gärten und Plätze saniert. Zwar hat die Weltbank einige Wege gepflastert, Aufklärungskampagnen durchgeführt und die medizinische Betreuung verbessert. Insgesamt aber bleibt vieles Stückwerk. Auf den Dutzenden unbefestigten Strassen, die sich durch die verseuchten Quartiere ziehen, wirbelt bis heute jedes vorbeifahrende Auto kontaminierten Staub auf. Viele Begrünungsprojekte sind während der Trockenzeit zum Erliegen gekommen. In einigen der besonders betroffenen Quartiere sind in den letzten Jahren sogar neue Häuser gebaut worden. Seit einigen Jahren ist die über hundertjährige Anlage in Teilen wieder in Betrieb. Ein ausländisches Konsortium verarbeitet hier die Minenabfälle, die sich während Jahrzehnten zu einer riesigen Halde aufgetürmt haben. Dies solle, so heisst es, gemäss internationalen Standards geschehen, auch punkto Umweltschutz. Zweifel kommen auf: Die Halde wurde zwar eingezäunt, abgedeckt aber ist sie nicht – kontaminierter Staub kann weiterhin entweichen. Ein Radlader kippt Minenabfälle auf ein offenes Feld. Mutambo Esay, Krankenpfleger bewertet die Maßnahmen gegen das Gift im Boden: als ungenügend. Systematische Tests auf eine Bleivergiftung würden hier nicht mehr durchgeführt, sagt Esay etwa. Ohnehin sei die Klinik schlecht ausgestattet, Medikamente bekomme sie oft nur von Hilfsorganisationen. Im Namen Tausender Familien, die in Kabwe von der Bleiverschmutzung betroffen waren, haben Menschenrechtsorganisationen in Johannesburg eine Klage gegen die südafrikanische Firma Anglo American eingereicht. Diese hatte die Mine in Kabwe im vorigen Jahrhundert am längsten und am intensivsten betrieben. Noch diesen Herbst dürfte das Gericht über die Zulassung der Sammelklage entscheiden. Bei einer Verurteilung – oder im Fall einer aussergerichtlichen Einigung – flössen Entschädigungszahlungen nach Kabwe. Wichtig wäre aber auch die Signalwirkung, die von einem entsprechenden Urteil in Südafrika ausginge. «Firmen aus aller Welt waren an dieser Mine beteiligt», sagt Chuma. «Die Verschmutzung ist nicht nur unser Problem, sondern auch ihres.